Biceps Femoris Architektur nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes

Timmins et al. veröffentlichten 2015 im Medicine & Science in Sports & Exercise ihre Studie „Biceps Femoris Architecture and Strength in Athletes with a Previous Anterior Cruciate Ligament Reconstruction“.

Eine Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes bringt ein erhöhtes Risiko mit sich, im späteren Verlauf eine Verletzung der Hamstrings zu erleiden. Dies kann auch daran liegen, dass bei ACL Verletzungen häufig ein Autograft (d.h. das Gewebe wird aus einer anderen Körperregion gewonnen) des Semitendinosus zur Rekonstruktion verwendet wird. Sehr oft werden zur Einschätzung des Verletzungsrisikos der Hamstrings die Höhe der Kraftwerte oder die Kraftentwicklung einbezogen. Aber auch strukturelle Veränderungen der Hamstring-Muskulatur, als Folge der Entnahme des Autograft, sind zu berücksichtigen.

Ziel:
Das Ziel der Studie war es herauszufinden, ob eine ACL Rekonstruktion mittels Semitendinosus Autograft einen Einfluss auf die exzentrische Kraftentwicklung der Knieflexoren zur Folge hat. Außerdem sollte untersucht werden ob es durch diesen Eingriff zu Unterschieden im strukturellen Aufbau (Faszikellänge und Fiederungswinkel) am verletzten Bein im Vergleich zum unverletzten Bein kommt. Denn diese Faktoren sind offensichtlich ein Risikofaktor für Hamstring-Verletzungen.

Methodik:
Hierzu konnten 67 freiwillige Probanden gewonnen werden. Davon bildeten 52 gesunde Probanden (keine Verletzungen der unteren Extremität in den letzten zwölf Monaten und keine früheren Verletzungen des vorderen Kreuzbandes) die Kontrollgruppe und 15 verletzte Probanden (einseitige ACL Rekonstruktion mit Semitendionosus Autograft zwischen 2004 und 2013, sowie einen Ausschluss von Hamstring-Verletzungen innerhalb der letzten 12 Monate, die in den letzten 12 Monaten bereits wieder am Trainings- und Wettkampfbetrieb teilnahmen) die Experimentalgruppe.

Mittels Ultraschall-Technologie wurden die Muskeldicke, die Faszikellänge und der Fiederungswinkel des Biceps Femoris long head (BFlh) gemessen. Einmal erfolgte die Messung in Ruhe und einmal unter verschiedenen Intensitäten bei isometrischer Kontraktion. Zudem wurde die Kraft mittels “Nordic Hamstring exercise field testing device” getestet (eccentric & 25% maximal voluntary isometric contraction (MVIC)). Die Messungen erfolgten alle am selben Tag in der frühen Vorbereitungsphase der Sportler.

Ergebnisse:
Die Studienergebnisse konnten aufzeigen, dass sowohl die absolute Faszikellänge, als auch die Faszikellänge in Relation zur Muskeldicke, im Bein mit vorheriger ACL Verletzung signifikant kürzer sind als im gesunden Bein derselben Person. Dies galt sowohl in Ruhe als auch bei 25% MVIC. Bei beiden Intensitäten bestand außerdem ein signifikanter Unterschied im Fiederungswinkel zwischen gesundem und „verletztem“ Bein, wobei der Winkel im Bein mit ACL Rekonstruktion größer war. Bezüglich der Muskeldicke konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Die Asymmetrien zwischen den Beinen waren in allen Faktoren (Muskeldicke, Faszikellänge, Fiederungswinkel) in der Experimentalgruppe größer als bei der Kontrollgruppe.

Bezüglich der Kraftwerte konnte aufgezeigt werden, dass während des Nordic Hamstring Exercise (NHE) die ehemals verletzte Seite im Schnitt 13,7% schwächer war als die gesunde Seite. Auch im Vergleich zu der Kontrollgruppe war die ACL-verletzte Seite im Schnitt schwächer. Im Vergleich der gesunden Seite der Experimentalgruppe und der Kontrollgruppe ergaben sich keine Unterschiede.

Diskussion:
Die Haupterkenntnis dieser Studie ist, dass sich bei einer ACL-Rekonstruktion mit Semitendinosus Autograft der ipsilateralen Seite kürzere Faszikel und größere Fiederungswinkel im BFlh finden. Dies gilt sowohl in Ruhestellung als auch unter moderater Belastung (25% MVIC). Dazu kommt, dass die exzentrische Kraftentfaltung auf der „verletzten“ Seite während der NHE signifikant geringer war als auf der kontralateralen gesunden Seite. Dies gilt auch im Vergleich zu der Kontrollgruppe.
Diese beiden Faktoren sind laut Brockett et al. (2004) und Morgan et al. (1990) auch als Risikofaktoren für eine Hamstring-Verletzung zu sehen.

Auf Grund dieser Ergebnisse sollte man in der Nachbehandlung der ACL Rekonstruktion auch die Hamstrings nicht aus dem Auge lassen und entsprechende Interventionen zur Verletzungsprävention einleiten.

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