Wenn der Kopf nicht mitspielt (Psychologisches Verletzungsmanagement)

In der Sportärztezeitung 01/2016 haben wir einen tollen Artikel von Prof. Dr. Jan Mayer gefunden. Behandelt wird hier das psychologische Verletzungsmanagement. Wenn bereits verheilte Verletzungen durch Angst und Unsicherheit immer noch ein Problem darstellen, den Sportler zurück zu seiner Form zu verhelfen, können psychologische Ansätze meist weiterhelfen. 

Meist beginnt der Albtraum des Sportlers durch eine heftige Verletzung und einen langen Reha Aufenthalt. Gefolgt von Aufbautraining und schließlich dem Wettkampftagen. Dennoch finden Sportler, trotz effektiver Rehabilitation und sorgfältigem Aufbautraining, oft nicht zurück in ihre Wettkampfform und schaffen es nicht an die Leistungen vor der Verletzung anzuknüpfen. Dies kann von Unzufriedenheit und Frustration bis hin zu Karriereende und sogar daraus resultierenden finanziellen Problemen (für Berufssportler) führen. Obwohl der Körper des Athleten fit genug wäre weiter Spitzenleistungen zu erbringen, kommt es zum Ausscheiden aus dem Sport. Und hier spielt unser Gehirn eine wichtige Rolle, denn häufig führen Ängste und Unsicherheiten, die durch die Verletzung hervorgerufen wurden, zu diesem traurigen Ende.

Die sportpsychologische Intervention scheint im Rehaprozess also keine unwesentliche Rolle zu spielen und sorgt neben der medizinischen, physiotherapeutischen und trainingswissenschaftlichen Ebene für einen multimodalen Behandlungsansatz ganz nach dem Prinzip von Weiss und Troxel (1986):

„Treat the person, not only the injury.“

Um den Sportlern am besten zu helfen, ist es notwendig zu verstehen, welche Faktoren den Athleten besonders beeinflussen können. Ist es beispielsweise die Persönlichkeit, die Schwere der Verletzung oder der Struktur der Sportart und des Umfelds geschuldet, dass der Athlet eine so starke Belastungsreaktion zeigt. Folgende Faktoren sollten dabei dringend Beachtung finden.

Verletzungsbedingte Faktoren:

Die individuelle Einschätzung des Athleten selbst in Hinsicht auf die Schwere seiner Verletzung gilt als bedeutendster Faktor in der Rehabilitation. Denn hieraus folgt der Schluss auf die Ausfall- und Rehabilitationszeit und der damit verbundene Rückgang der sportlichen Leistungsfähigkeit.

Auch die Attribuierung der Verletzungsursache ist von entscheidender Bedeutung. Ist die Ursache nicht gänzlich bekannt führt dies zu Unsicherheiten und Ängsten vor Wiederverletzungen. Genauso gibt es Unterschiede in der Fremd- oder Eigenzuweisung der Verletzungsursache, sodass „selbst verschuldete“ Verletzungen als in Zukunft eher vermeidbar empfunden werden, wohin gehend „fremdverschuldete“ Verletzungen nicht kontrollierbar erscheinen.

Individuell beeinflusst auch das Schmerzempfinden die betroffene Person. Während die Schmerzschwelle nur wenig beeinflussbar ist, zeigt sich bei der Schmerztoleranz Veränderungspotential. Hier kommt insbesondere die Aufmerksamkeitslenkung ins Spiel, da diese stark die wahrgenommene Schmerzintensität verringern kann.

Personenbedingte Faktoren:

Unter ängstlicheren Personen zeigt sich meist eine stärkere Belastungsreaktion, da sie häufig über weniger ausgeprägten Stressbewältigungsstrategien verfügen.

Ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal, welchem besondere Bedeutung zukommt, ist die Risikobereitschaft des Sportlers. Eine Verletzung, die durch ein „freiwillig“ übernommenes Risiko verschuldet wurde, führt beim Betroffenen zu deutlich höherer Akzeptanz, es sei denn, die objektiven und subjektiven Risiken werden von ihm nicht realistisch eingeschätzt.

Betrachtet man den Unterschied zwischen Berufs- und Freizeitsportlern hinsichtlich der Existenzgefährdung durch eine Sportverletzung, so kommt es zu deutlich höheren psychischen Belastungen bei den Berufssportlern.

Nicht unwesentlich spielt der individuelle Stellenwert des Sports eine Rolle bezüglich der psychischen Belastung nach Verletzungen. Wird beispielsweise Sport als kompensatorisches Mittel (z.B. zum Verdrängen anderer Probleme) eingesetzt, kann es durch eine gezwungene Sportpause zu Problemen kommen und das Selbstwertgefühl gefährden.

Kommt es bei „verletzungserfahrenen“ Sportlern zu einer Verletzung, können diese meist mit weniger psychischen Belastungen rechnen, als bei „erstverletzten“ Athleten. Somit spielen frühere Verletzungsvorerfahrungen wesentliche Copingansätze durch Bewusstsein der eigenen Ressourcen.

Das Lebensalter des Athleten hat meist auch direkt Einfluss darauf, wie lange der Sport noch aktiv ausgeführt werden kann. Bei älteren Sportlern kann auch eine kleinere Verletzung das Ende einer Sportlerlaufbahn bedeuten. Jüngere Sportler können meist besser kompensieren, auch wenn diese sehr ungeduldig den Rehaprozess durchlaufen.

Weitere Faktoren:

In manchen Sportarten gehören kleinere und auch teilweise größere Verletzungen scheinbar mit dazu. Sind diese Verletzungsrisiken der Sportart bekannt, so finden sich verletzte Sportler auch meist schneller damit ab und empfinden keine so starke psychische Belastung, da die Verletzung sozusagen als zum Sport dazugehörend angesehen wird.

Der Verletzungszeitpunkt ist ein wichtiger Faktor. Kommt es beispielsweise kurz vor dem Saisonhöhenpunkt zu einer Verletzung, entstehen häufig hohe psychische Belastungen, Frustration und Ärger. (Nach Kerr und Minden aus dem Jahr 1988, finden ca. 27% aller Verletzungen vor wichtigen sportlichen Ereignissen statt).

Beabsichtigt man die Rehabilitationsmaßnahmen bestmöglich psychologisch zu unterstützen, sollte man die oben genannten Einflussfaktoren berücksichtigen und in den Rehaplan einbeziehen.

Man kann sagen, desto einschlägiger und individueller das Verletzungserleben, desto problematischer erscheint die psychische Belastung. Gerade die Einsicht, dass das Überschreiten von Grenzen gefährlich und schmerzhaft sein kann, kann den Umgang mit Risikosportarten verändern. Nach einer Verletzung wieder an die vorher erbrachte Höchstleistung anzuknüpfen ist gerade hier sehr schwierig, wo es notwendig ist, dass für Spitzenleistungen gewisse Risiken eingegangen werden müssen. Es geht meist darum, unter schwierigen Umständen am eigenen Limit, den Drahtseilakt zwischen Höchstleistung und Unfall erfolgreich zu bestehen. Doch die Realität sieht meist so aus, dass gerade in diesen Sportarten, Ängste und Blockaden die Bewegungsabläufe unmöglich machen. Man kann sagen, dass der Kopf einfach nicht mitspielt und die Aufgabe unmöglich macht.

Desensibilisierung:

Schon 1977 führte Wolpe ein verhaltenstherapeutisches Verfahren ein um Ängste systematisch zu desensibilisieren und somit Angstsituationen zu bewältigen. Hintergrund dieses Verfahrens ist die Annahme, dass Entspannung und Angst nicht nebeneinander existieren kann, weshalb Handlungs- und Bewegungsvorstellungen eine entscheidende Rolle spielen.

  1. Angsthierarchie:
    Der Sportler stellt für die angstauslösende Situation eine Angsthierarchie auf und bewertet diese.
    Im Falle eines Skispringers kann das Beispiel so aussehen:
    – beginnende Angst: Fahrt zur Schanze
    – leicht erhöhte Angst: Mit dem Sessellift zum Sprungturm fahren
    – mittlere Angst: Auf dem Sprungturm stehen und den Anlauf hinunterschauen.
    – stark erhöhte Angst: Mit Sprungski zum Absrpungsbalken hinabsteigen.
    – maximale Angst: Mit angeschnallten Sprungskiern auf dem Absprungbalken sitzen.
  2. Entspannungstraining:
    Der Athlet lernt ein Entspannungsverfahren wirksam einzusetzen. Zum Beispiel Atementspannung, Progressive Muskelrelaxation oder Autogenes Training.
  3. Optimale Handlungsvorstellung:
    Der Sportler beschreibt seinen optimalen Handlungsablauf aus der Innenperspektive.
  4. Mentales Training:
    Die Situationen, welche die wenigste Angst auslösen werden als erstes in die eigene Vorstellung übernommen. Sobald Angst auftritt wird die Vorstellung unterbrochen und unmittelbar mit der Entspannungsmethode gegeninterveniert. Tritt nach einiger Zeit bei der Vorstellung keine Angst mehr auf, kann die nächste Situation der Angsthierarchie angegangen werden.

Kann der Sportler alle angstauslösenden Situationen in der Vorstellung bestehen, kann der Übertrag in die Realität stattfinden und der Athlet schrittweise an die realen Abläufe herangeführt werden.