Ausdauerleistung und Verletzungsrisiko: Besser durch Warm-Up? (Teil 1)

Andrew Hamilton spezialisiert sich auf das Zusammenfassen von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Sport. In seinen Artikeln setzt er sich mit Themen aus Trainingswissenschaft, Ernährung, Gesundheit, Psychologie und Material auseinander und veröffentlicht diese auf seiner Homepage Peak Performance.

Im Februar 2019 erschienen zwei Artikel, welche sich mit einem erfolgreichen Warm-Up beschäftigen. Anhand der vorliegenden Studienergebnisse zieht er Bilanz:

Im Gegensatz zu manchen Maschinen ist der menschliche Körper nicht darauf ausgerichtet einen Start von null auf hundert hinzulegen. Er benötigt meist etwas Zeit um sich an Belastungen anzupassen und erforderliche Prozesse anzukurbeln. Diese sind nötig, um einer großen Belastung mit einer optimalen Leistung entgegenzuwirken. Bei höchster sportlicher Aktivität benötigt der Körper etwa 10 – 20 mal soviel Energie, wie er in Ruhe verbraucht. Das bedeutet, dass auch ein erheblicher physiologischer Stress entsteht!

Passiert es dennoch, dass der Mensch plötzlich einen Kaltstart hinlegen muss (im Verlauf der Evolution beim Auftauchen eines Feindes oder auch heutzutage beim Kurzsprint Richtung Straßenbahn), sinkt die potentielle Leistungsfähigkeit und die Verletzungsgefahr steigt.

Ein Warm-Up Programm soll dazu dienen, die Verletzungswahrscheinlichkeit zu senken und auf eine optimale Leistungsfähigkeit vorbereiten.

Ein traditionelles Warm-Up bestand früher häufig aus einer moderaten aeroben Belastung, um die Sauerstoffbereitstellung in der Arbeitsmuskulatur zu verbessern. Dazu kam ein Dehnprogramm für die Muskulatur und das Mobilisieren der Gelenke.

Diese Art von Aufwärmprogramm beruhte auf einfachen, physiologischen Prinzipien und schien sehr logisch, bis sich vermehrt Studien mit dieser Thematik differenziert auseinandersetzten. Die Studien zeigten Defizite auf und lieferten Daten dazu, dass die Leistung nach einem Warm-Up teilweise sogar schlechter war als ohne.

Dehnen und Leistung:
Man unterscheidet beim Dehnen verschiedene Arten, die möglicherweise in ein Aufwärmprogramm gehören könnten. Dazu gehört das statische Dehnen, das ballistische Dehnen und das dynamische Dehnen (siehe hierzu Tabelle 1).

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Einer der führenden Forscher auf dem Gebiet ist O’Donovan, der 61 Studien über akute Effekte von statischem Dehnen auf die Kraft und Leistung analysierte. Er kam zu folgendem Ergebnis:

  • Eine Studie fand eine Verbesserung der Leistung
  • 38 Studien fanden eine Reduktion der Leistung
  • 22 Studien fanden keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen, die statisch dehnten und der Kontrollgruppe, die gar kein Dehnprogramm durchführten

Außerdem konnte gezeigt werden, dass schon ein 2 x 15 Sekunden statisches Dehnen die Leistung kurzfristig verschlechterte und bei längeren Dehnprogrammen die Leistungseinbußen bis zu zwei Stunden anhielten.

Sein Fazit: „pre-exercise static stretching is a waste of time or, worse, is detrimental to performance!”

Die Untersuchungen zum ballistischen Dehnen kamen auch nicht wirklich zu positiven Ergebnissen. In allen sechs analysierten Studien konnte keine Leistungssteigerung durch die Integration von ballistischen Übungen ins Warm-Up erzielt werden.

Beim dynamischen Dehnen fanden sich immerhin sechs von zehn Studien, die Leistungssteigerungen ausmachen konnten. Die anderen vier fanden keinen bedeutenden Unterschied.

Zusammengefasst könnte man meinen, dass das dynamische Dehnen tatsächlich eine Bereicherung im Warm-Up sein könnte. Allerdings muss hinterfragt werden, ob hier der leistungssteigernde Effekt überhaupt durch das Dehnen oder vielmehr durch die Wärmeproduktion der aktiven Übungsausführung kommt. Aber immerhin scheint es nicht zu schaden!

Dehnen und Verletzung:
Wenn wir nun davon ausgehen, dass Dehnübungen nur bedingt zur Leistungsverbesserung beitragen können, besteht denn die Möglichkeit sie im Warm-Up zur Verletzungsprävention einzusetzen?

Eine Studie mit 2377 erwachsene Personen zeigte eine Minimierung des Verletzungsrisikos bei manchen Verletzungen. Leider ist die Studie qualitativ sehr schlecht konzipiert worden, denn die Teilnehmer wurden über das Internet geworben und wurden von den Leitern der Studie gar nicht erst gesehen. Dazu kommt, dass die Bereitschaft der Teilnehmer regelmäßig das Stretching durchzuführen, nicht überprüft werden konnte und auch die Verletzungen wurden durch einen Selbstbericht der Teilnehmer erhoben.

Qualitativ hochwertigere Studien, welche ein randomisiertes und kontrolliertes Design wählten kamen auf andere Ergebnisse:

Hierzu gibt es zwei Studien (1093 Teilnehmer und 1539 Teilnehmer) aus dem australischen Militär. In beiden Studien konnte keine Senkung des Verletzungsrisikos gefunden werden.

Bis eindeutigere Studien vorliegen muss man also davon ausgehen, dass das Dehnen im Warm-Up keinen Einfluss auf das Verletzungsrisiko nimmt.

Im zweiten Teil erfahrt ihr mehr zum Thema “Aufwärmen” im Warm-Up!

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