How much is too much? (I) – IOC Konsens Statement zur Belastungssteuerung und Verletzungsrisiko im Sport

In den letzten Jahren entwickelt sich der Sport immer mehr vom normalen Wettkampf hin zu einem wettbewerbsfähigen, professionalisierten „Industrieunternehmen“. Um den kommerziellen Anforderungen gerecht zu werden, wurden die Veranstaltungskalender mit neuen Single- und Multisport-Events im Kalenderjahr immer länger und zunehmend voller.

Im Zusammenhang mit dem wachsenden Sport- und den anspruchsvolleren Wettbewerbsprogrammen sehen sich Spitzen- und Entwicklungssportler einem immer größeren Druck ausgesetzt, wettbewerbsfähig zu bleiben. Folglich suchen Athleten, ihre Trainerteams und das Team um den Athleten unermüdlich nach Wegen, um marginale Verbesserungsmöglichkeiten ausfindig zu machen, die positiven Einfluss auf die Leistung des Athleten haben können. Obwohl der Koffer mit möglichen Werkzeugen sehr voll und reichhaltig ist, ist das Hauptinstrument die Trainingssteuerung. Trainings- und Wettkampfbelastung stimulieren eine Reihe von homöostatischen Reaktionen und begleitende Anpassung der Systeme des menschlichen Körpers. Auffällig dabei ist, dass Elite- und Sportler auf dem Weg zur Elite ihr Trainingsvolumen und ihre Trainingsintensität an die Grenzen treiben, um maximale Leistungssteigerung zu forcieren.

Experten sorgen sich (zurecht) um die Gesundheit ihrer Spitzensportler, da schlecht gemanagte Trainingslasten in Verbindung mit dem vollen Wettkampfkalender die Gesundheit der Sportler zunehmend gefährdet.

Obwohl die Verletzungsätiologie im Sport multifaktoriell ist und extrinsische sowie intrinsische Risikofaktoren beinhaltet, hat sich gezeigt, dass das Belastungsmanagement/Loadmanagement ein Hauptrisikofaktor für Verletzungen darstellt. Die Nichteinhaltung, oder unzureichende Beachtung des Gleichgewichts zwischen Belastung und Erholung kann zu längerer Ermüdung und abnormalen Trainingsreaktionen (Fehlanpassungen) sowie zu einem erhöhten Risiko von Verletzungen und Erkrankungen führen. 

Vom 24. bis 27. November 2015 lud das Internationale Olympische Komitee zu einem Konsenstreffen ein, bei dem die Experten die wissenschaftlichen Belege für das Belastungsverhältnis (einschließlich rapider Veränderungen der Trainings- und Wettkampfbelastung, Verdichtung des Wettkampfkalenders, psychische Belastung und Reisen) und Gesundheitsergebnisse durcharbeiteten. Dabei wurden aktuelle Studien analysiert, um einen Konsens zu erreichen und Richtlinien für die klinische Praxis und das Management von Athleten sollten geliefert werden. Dabei wurden dringliche Forschungsprioritäten für die Zukunft identifiziert.

Monitoring von Belastung und Verletzungen

Das Monitoring von Sportlern ist eine Grundvoraussetzung um die Beziehung zwischen Belastung und Verletzungsrisiko ausfindig zu machen. Dies beinhaltet eine genaue Messung und Überwachung der sportlichen und nicht-sportlichen Belastungen der Athleten, aber auch die von ihnen erbrachte Leistung, das emotionale Wohlbefinden, die Symptome und die Verletzungen der Athleten.

Zu den Vorteilen des Belastungsmonitorings von Sportlern gehören die Nachvollziehbarkeit von

  • Leistungsveränderungen,
  • physische/psychische Reaktionen auf das Training,
  • Ermüdungserscheinungen und die damit verbundenen Erholungsbedürfnisse,
  • Planung und Änderung von Trainingsprogrammen und Wettkampfkalendern
  • das Einhalten therapeutischer Belastungsstufen um das Risiko von nicht funktionalen Überbelastungen (wochen- bis monatelange Müdigkeit), Verletzungen und Krankheiten zu minimieren

Monitoring von externen und internen Lasten/Load

Es gibt viele verschiedene Belastungsmaße (siehe Tabelle), aber der Beweis für ihre Validität als Marker für Anpassung und Belastungsadaptation ist begrenzt. Keiner dieser einzelnen Marker kann zuverlässig eine Fehlanpassung oder eine Verletzung voraussagen. Das Monitoring umfasst das Messen der externen und internen Last, wobei die Werkzeuge zum Messen des ersteren allgemein oder sportspezifisch sein können, und für das letztere objektiv oder subjektiv.

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Das Messen der externen Last beinhaltet typischerweise das Aufsummieren der Trainings- oder Wettkampflast eines Athleten, wie Trainingsstunden, Laufstrecke, produzierte Watt, Anzahl der gespielten Spiele oder der Würfe; Andere externe Faktoren wie Lebensereignisse, tägliche Probleme oder Reisen können jedoch ebenso wichtig sein. Die innere Belastung wird durch Bewertung der inneren physiologischen und psychologischen Reaktion auf die äußere Belastung gemessen, und spezifische Beispiele umfassen Maßnahmen wie Herzfrequenz (physiologisch / objektiv), Bewertung der wahrgenommenen Anstrengung oder Bestandsaufnahme für psychosoziale Stressoren (psychologisch / subjektiv).

Monitoring von Symptomen und Verletzungen

Die Überwachung und Aufzeichnung von Verletzungen ist aus dem Spitzensports nicht mehr wegzudenken. Herkömmliche Verletzungsüberwachungssysteme orientieren sich am Verletzungszeitpunkt und den Ausfalltagen aus dem Sport, um den Schweregrad der Verletzung einzuschätzen. Während der Beginn einer akuten Verletzung leicht zu identifizieren ist, sind Verletzungen, die mit einer Überlastung zusammenhängen, definitionsgemäß durch wiederholte Belastung mit Fehlanpassungen des Gewebes gekennzeichnet. Daher haben sie keinen klaren Beginn, sondern treten im Laufe der Zeit allmählich auf. Sie äußern sich durch fortschreitende Anzeichen von klinischen Symptomen oder funktionellen Einschränkungen. Diese Art von Verletzung wird aufgrund des weniger stark ausgeprägten Verletzungsbeginnes weniger häufig gemeldet.

Absolutes Belastungs- und Verletzungsrisiko

In den meisten Studien zum Zusammenhang zwischen Belastung und Verletzungsrisiko im Sport wurden verschiedene Messungen der absoluten Belastung, d.h. der externen oder internen Belastung eines Athleten, unabhängig von der Belastungsrate oder Lasthistorie durchgeführt. Eine hohe absolute Trainings- und / oder Wettkampfbelastung wurde als Risikofaktor für Verletzungen in Leichtathletik / Laufen, Baseball, Cricket, Fußball, Orientierungslauf, Rugby League, Rugby Union, Schwimmen, Triathlon, Volleyball und Wasserball identifiziert. Auf der anderen Seite wurde eine hohe absolute Belastung als nicht erhöhendes Verletzungsrisiko in verschiedenen Studien berichtet, darunter Leichtathletik / Laufen, australischer Fußball, Rugby League, Rugby Union und Triathlon. In einigen Fällen scheint eine hohe absolute Belastung möglicherweise sogar Schutz vor Verletzungen zu bieten.

Relative Belastung, schnelle Belastungswechsel und Verletzungsrisiko

Während die Studien zur absoluten Last eine Beziehung zwischen hohen und niedrigen Lasten und Verletzungen dokumentieren, berücksichtigen sie nicht die Belastungsrate (d.h. die Belastungshistorie oder Fitness) des Athleten. Neuere Studien zeigen, dass hohe absolute Lasten nicht das Problem per se sind, sondern eher übermäßige und schnelle Zunahme der Belastung, der ein Athlet ausgesetzt ist, im Vergleich zu dem, auf was er vorbereitet ist. Besonders große wöchentliche Belastungsänderungen (schnelle Zunahme der Intensität, Dauer oder Häufigkeit) haben gezeigt, dass der Sportler ein signifikant erhöhtes Verletzungsrisiko hat.

Basierend auf früheren Arbeiten von Banister und Calvert haben Gabbett und Kollegen kürzlich das Konzept des Acute:chronic load ratio eingeführt, um die Beziehung zwischen Belastungsänderungen und Verletzungsrisiko zu zeigen. Dieses Verhältnis beschreibt die akute Trainingsbelastung (z. B. die Trainingsbelastung der letzten Woche) zu der chronischen Belastung (z. B. den 4-wöchigen rollierenden Durchschnitt der Belastung). Wenn die chronische Belastung schrittweise und systematisch auf ein hohes Niveau erhöht wurde (d.h. der Athlet entwickelt sich) und die akute Belastung gering ist, dann besteht möglicherweise ein niedriges Risiko einer Verletzung. Umgekehrt, wenn die akute Belastung die chronische Belastung übersteigt (d.h. akute Belastungen wurden schnell erhöht, was zu Ermüdung führt, oder das Training in den letzten 4 Wochen war nicht ausreichend, um Fitness zu entwickeln), dann besteht wahrscheinlich ein erhöhtes Verletzungsrisiko. Daher berücksichtigt dieses Modell die positiven und negativen Auswirkungen von Trainings- und Wettkampfbelastungen.

Das Modell wurde durch Daten von drei verschiedenen Sportarten (australischer Fußball, Cricket und Rugby League) validiert. Auffällig ist, dass die Verletzungswahrscheinlichkeit niedrig ist (<10%), wenn das Verhältnis von akuter zu chronischer Belastung im Bereich von 0,8-1,3 liegt. Wenn jedoch das Verhältnis von akuter zu chronischer Belastung über 1,5 liegt (d.h. die Belastung in der letzten Woche ist 1,5 Mal größer als der Durchschnitt der letzten 4 Wochen), wird die Verletzungswahrscheinlichkeit mehr als verdoppelt.

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Abbildung 1: Acute:chronic load ratio (redrawn from Gabbett).

Praktische Richtlinien für das Lastmanagement/Loadmanagement

Ziel des Loadmanagement ist es, Trainings-, Wettkampf- und andere Belastungen optimal zu gestalten, um die Anpassung und Leistung bei minimalem Verletzungsrisiko zu optimieren. Loadmanagement umfasst daher die entsprechenden Trainingsreize, Überwachung und Anpassung von externen und internen Lasten, für die eine Reihe von wichtigen praktischen Richtlinien zur Verfügung gestellt werden können:

  • Hohe Belastungen können bei Sportlern positive oder negative Auswirkungen auf das Verletzungsrisiko haben, wobei die Belastungsrate und das intrinsische Risikofaktorprofil entscheidend sind. Sportler reagieren signifikant besser auf relativ kleine Zunahmen (und Abnahmen) als auf größere Belastungsschwankungen. Während es wahrscheinlich ist, dass verschiedene Sportarten unterschiedliche Last-Verletzungs-Profile haben werden, schlagen aktuelle Studien von australischem Fußball, Cricket und Rugby League vor, dass Athleten wöchentliche Erhöhungen ihrer Trainingsbelastung auf <10% begrenzen sollten. Eine Alternative wäre die Steuerung eines akut:chronischen Belastungsverhältnisses zwischen 0,8-1,3.
  • Im Fußball erhöht das Spielen von zwei Spielen pro Woche (d.h. ≤ 4 Tage Erholung zwischen den Spielen) im Vergleich zu einem Spiel pro Woche das Verletzungsrisiko. Unter diesen Umständen sollten Fußballmannschaften den Einsatz von Kaderrotation in Erwägung ziehen, um eine starke Erhöhung der Match-Loads für einzelne Spieler zu verhindern.
  • Die Belastung sollte immer individuell und flexibel verordnet werden, da der Zeitrahmen der Reaktion und Anpassung an die Belastung stark individuell ist.
  • Besondere Aufmerksamkeit sollte dem Loadmanagement bei der Entwicklung von Sportlern gewidmet werden. Gerade bei den Sportlern, die ein erhöhtes Risiko haben, wenn sie mit neuen Lasten, Laständerungen oder überlasteten Wettkampfkalendern konfrontiert werden.
  • Die Veränderung der psychologischen Stressfaktoren eines Sportlers sollte auch bei der Verteilung von Trainings- und / oder Wettkampflasten eine Rolle spielen.
  • Trainer und Betreuer müssen eine angemessene Erholung einplanen. Insbesondere nach intensiven Trainingsphasen, Wettkämpfen und Reisen, einschließlich Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Schlaf und Ruhe, aktive Erholung, Entspannungsstrategien und emotionale Unterstützung.
  • Sportverbände müssen bei der Planung ihres Veranstaltungskalenders die Gesundheit der Sportler und damit die Wettkampfbelastung berücksichtigen. Dies erfordert eine verstärkte Koordination zwischen Veranstaltern von Einzelsport- und Multisportveranstaltungen und die Entwicklung eines umfassenden Kalenders für alle internationalen Sportveranstaltungen.

Zusammenfassung

Daten zum Zusammenhang zwischen Belastung und Verletzungsrisiko beschränken sich auf wenige ausgewählte Sportler- und Sportlerpopulationen. Hohe Belastungen können sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das Verletzungsrisiko bei Sportlern haben, wobei die Belastungsrate in Verbindung mit dem Risikofaktorenprofil des Sportlers ein kritischer Faktor ist. Sportler reagieren signifikant besser auf relativ kleine Zunahmen (und Abnahmen) als auf größere Belastungsschwankungen. Es gibt Hinweise aus einigen Sportarten, dass ein moderater und progressiver Aufbau von Belastungen hilfreich ist. Hohe Belastungen und körperlich hartes Training können eine Schutzwirkung gegen Verletzungen bieten. Die Belastung muss immer individuell und flexibel verordnet werden, da der Zeitrahmen der Reaktion und der Lastanpassung stark inter- und intraindividuell variiert. Eine regelmäßige Überwachung der Athleten ist von grundlegender Bedeutung, um die angemessene und therapeutische Belastung von externen und internen Lasten zu gewährleisten und somit die Leistung zu maximieren und das Verletzungsrisiko zu minimieren. Sportverbände müssen bei der Planung von Veranstaltungskalendern die Gesundheit der Sportler und damit die Gesamtkonkurrenz berücksichtigen. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um die Auswirkungen der Überlastung des Wettkampfkalenders und der schnellen Belastungsänderungen bei verschiedenen Sportarten sowie die Interaktion mit anderen physiologischen, psychologischen, umweltbedingten und genetischen Risikofaktoren zu untersuchen.