Krafttraining in der Rehabilitation – Teil 1

Nach Verletzungen und operativen Eingriffen ist das Kraftverhalten des Muskels häufig verändert. Initial findet bei einer ernsthaften Verletzung oder einem operativen Eingriff am Bewegungsapparat eine akute Entzündungsreaktion begleitet von einer Muskelschwächung statt.

Diese erste Phase ist gekennzeichnet durch eine Verringerung der Muskelaktivität infolge einer reflektorischen Hemmung, einer Schonhaltung oder einer erfolgten partiellen oder kompletten Ruhigstellung. Eine reflektorische Hemmung ist dabei nicht nur auf den Schmerz zurückzuführen, sondern kann auch durch benachbarte Gelenkrezeptoren, angrenzende Strukturen und kleinste Gelenkergüsse ausgelöst werden (Grimby u. Thomeé 1989). Besteht die reduzierte Muskelaktivität fort, führt sie schließlich in einer zweiten Phase – trotz bereits einsetzender Proliferation – zu einer Atrophie des Muskels mit einer begleitenden Verminderung der Funktion für Maximalkraft-, Schnellkraft- und Reaktivkraft-fähigkeiten. Bereits nach 8 Tagen ist durch Krankheit oder Ruhigstellung verordnete Bettruhe mit einer Reduktion der isometrischen Maximalkraft um 20 Prozent zu rechnen. Nach 14 Tagen hat sich dieser Wert auf 24 Prozent erhöht (Hettinger u. Müller 1953). In einer dritten Phase können – trotz bereits bestehender Umbauprozesse im Gewebe – selbst nach erfolgter Therapie und Rehabilitation funktionelle Defizite fortbestehen, die vom Patienten subjektiv nicht immer wahrgenommen werden. Nachweisbar sind Unterschiede in den Kraftqualitäten der verletzten zur unverletzten Extremität sowie zwischen Agonist und Antagonist.

Ursachen: 

Mehrere Ursachen können für die genannten Defizite in Betracht gezogen werden:

  • Eine reflektorische Hemmung, verursacht durch Gelenkergüsse und/oder Schmerz besteht fort.
  • Die propriozeptive Kontrolle ist durch die Verletzung oder einen operativen Eingriff hervorgerufene Schädigung von Rezeptoren und/oder afferenten Nervenbahnen herabgesetzt (Grimby u. Thomeé 1989, Schmidtbleicher 1994).
  • Auch eine operationsbegleitende Ischämie kann zu schweren Funktionseinbußen efferenter und afferenter Nervenbahnen führen. Dadurch können sowohl die kinästhetische Wahrnehmung als auch die Motorik gestört ablaufen (Schmidtbleicher 1994). Weiter erfolgt der Kraftaufbau bei vorhandener Schädigung efferenter Bahnen nicht oder nur verzögert.
  • Das absolvierte Rehabilitationstraining war in der gewählten Reizkonfiguration (Intensität, Dauer, Umfang und Trainingshäufigkeit) nicht in der Lage, ausreichende Stimuli für eine verstärkte Proteinsynthese zur Auslösung einer muskulären Hypertrophie zu setzen. Hierbei können die einwirkenden Trainingsreize sowohl zu hoch wie auch zu niedrig erfolgt sein.
  • Neben den Unterschieden in der Maximalkraft bestehen Defizite im Schnellkraft- und im Reaktivkraftverhalten (Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus) häufig auch nach der Therapie fort. Das Bewusstsein, dass es sich bei diesen beiden Erscheinungsformen des Kraftverhalten um notwendige und wichtige Komponenten der Alltagsmotorik handelt, hat sich noch nicht durchgesetzt. Folglich wird der Patient aus dem Rehabilitationstraining entlassen, wenn die Maximalkraftwerte dem gewünschten Niveau entsprechen. Ein Training der Schnellkraftfähigkeiten und der reaktiven Kraftfähigkeiten wird oft – nicht zuletzt aus Zeitgründen – vernachlässigt. Neuronale und tendomuskuläre Einflussgrößen für das Kraftverhalten eines Muskels werden damit in der Rehabilitation oft nicht berücksichtigt. 

Bestehen die genannten Defizite weiter, können neue Verletzungen, Schonhaltungen der verletzten Extremität mit resultierender Überbeanspruchung der gesunden Extremität erwartet werden.

Im nächsten Teil werden wir dann näher auf die Ziele und Voraussetzungen des Krafttrainings eingehen…