Prävention von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes

In Amerika kommt es zu über 250.000 Rupturen des vorderen Kreuzbandes (VKB) pro Jahr. Hiervon werden über 100.000 operativ rekonstruiert, was die amerikanische Gesellschaft ca. 17 Milliarden Dollar kostet.
Immer häufiger kommt es auch bei jungen Sportlern zwischen 15 und 20 Jahren zu solchen Verletzungen. Diese Gruppe macht inzwischen über die Hälfte aller verletzten Personen aus.

Für Deutschland finden wir auf der Homepage der Gesundheitsberichterstattung des Bundes für das Jahr 2013 eine Zahl von 35.020 eingetragenen Fällen mit Kreuzbandbeteiligung. Auffällig ist, dass fast doppelt so viele Männer betroffen sind, wie Frauen. 

Häufig führt es bei den betroffenen jugendlichen Athleten zu zahlreichen weiteren negativen Auswirkungen nach einer VKB-Ruptur. Dazu gehören neben der unangenehmen Verletzung selbst, häufig auch ein Leistungsabfall in der Schule und somit ein verschlechterter Notendurchschnitt, Symptome einer Depression bzw. einer depressiven Verstimmung, Angst vor dem Wiedereinstieg in den Sport und das Langzeitrisiko von bis zu 70% an einer frühen Osteoarthritis zu erkranken.

Es gibt jedoch zahlreiche wissenschaftlich fundierte Studien, die aufzeigen, dass durch den Fokus auf geeignete Bewegungsmuster (BWM) und Muskeltraining einer VKB-Verletzung präventiv entgegengewirkt werden kann. Mandelbaum et. al. haben schon im Jahr 2005 gezeigt, dass bis zu 88% der VKB-Verletzungen vermieden werden könnten (z.B. durch nötiges Wissen, Dehnung, Krafttraining, plyometrisches Training, sportartspezifische Agilitätsübungen, koordinativer Schwerpunkt auf geeignete BWM und Video-Feedback-Training).

Betrachtet man die immer größer werdenden Verletzungszahlen, so muss man erkennen, welche Dringlichkeit dieser Thematik zu Grunde liegt.

Athleten, die eine Prädisposition für solche Verletzungen haben müssen durch entsprechende Screenings ausgemacht werden. Diese Screenings sollen die BWM und die Muskelkraft analysieren, die für das Vermeiden von VKB-Verletzungen wichtig sind. Danach sollte ein individuelles Trainingsprogramm aufgestellt werden, welches die Ergebnisse der Screenings berücksichtigt. Die Programme müssen in der Übungsauswahl, dem methodischen Aufbau und der systematischen Planung so gestaltet sein, dass sie dem Ziel – Prävention einer VKB-Verletzung – gerecht werden.

Das VKB erfährt die größte Beanspruchung, wenn sich das Knie in Valgusstellung befindet und in dieser Position der Femur gegenüber einer fixierten Tibia rotiert. Meist befindet sich das Knie in einer solchen schädlichen Position, wenn es zu einer Kombination von Stopp-, Dreh- und / oder Landebewegungen kommt. Diese kommt in sehr vielen gängigen Sportarten vor. Um das Knie bzw. das VKB in diesen Situationen zu entlasten bedarf es eines korrekten BWM´s verbunden mit einem entsprechenden Kraftniveau der beteiligten Muskulatur.

Hier kommt die sogenannte motorische bzw. sensomotorische Kontrolle ins Spiel. Man spricht dann von (senso-)motorischer Kontrolle, wenn Gehirn, Nervensystem und  Muskulatur zusammenwirken, um eine Aufgabe zu bewältigen.

Die Mm. gluteus maximus und medius sind die wichtigsten Muskeln der Hüfte, welche die Abduktion und Rotation des Femurs kontrollieren. Wenn diese Muskulatur zu schwach ist, führt das häufig zu einem Valgusstellung im Kniegelenk und als Resultat davon zu einer VKB-Problematik.

Um Verletzungen des VKB zu vermeiden spielen zwei Schlüsselkomponenten eine entscheidende Rolle:

  • der Aufbau von entsprechender Muskulatur und
  • die Fähigkeit diese mit einem korrekten BWM anzusteuern. 

Sowohl muskulär als auch koordinativ bedarf es einer Analyse der individuellen Schwachstellen (Weak-Links). Um die in solchen Screenings festgestellten Schwächen zu verbessern fungiert der Sportphysiotherapeut / Physiotherapeut als Spezialist und beratende Kraft.

Bestehende BWM zu verändern ist eine eher schwierige Angelegenheit, da diese meist schon sehr fest verankert sind. Ein systematisches Training kann dabei helfen, indem komplexe Bewegungsabläufe in Teilbewegungen unterteilt und erst im späteren Trainingsverlauf wieder zusammengelegt werden.

Das Krafttraining sollte grundsätzlich mit einer Aktivierung (Brain-Body-Connection) beginnen. Beispielsweise mit isometrischem Training, da hier viele motorische Einheiten gleichzeitig angesprochen werden. Wie bereits bei den BWM muss auch beim Muskeltraining zunächst mit Basisübungen angefangen werden. Später werden die Übungen komplexer und enden in einem sportartspezifischen Krafttraining mit Widerständen.

Obwohl das VKB als Risikostruktur bereits lange bekannt ist, konnte bislang die Verletzungshäufigkeit nicht reduziert werden. Die Ursache hierfür wird in den sogenannten „one size fits all“ Modellen vermutet. Hierbei wird nicht auf die individuellen Unterschiede von Schwächen in Muskulatur und BWM geachtet. Eine individuelle Analyse vor dem Training wird nur unzureichend mit einbezogen. Außerdem werden die zahlreichen wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema viel zu selten berücksichtigt. So kommt es häufig dazu, dass das Training unter veralteten Annahmen (z.B. dass Hamstrings und Quadrizeps präventiv in Hinblick auf eine VKB-Ruptur wirken) durchgeführt wird. Die Kombination von Krafttraining und koordinativem Training von ganzen Bewegungsmustern wird leider noch viel zu selten angewandt, ist aber zur Aktivierung der entscheidenden Muskulatur äußerst wichtig.

Es könnten eine Menge Geld und Leiden gespart werden, wenn der Fokus mehr auf der Prävention von VKB-Verletzungen liegen würde. Leider fokussiert sich die Aufmerksamkeit zu einem großen Teil jedoch immer noch auf die Rehabilitation von bereits aufgetretenen Verletzungen. Allerdings hat die gesetzliche Unfallversicherung der Profisportler (VBG) das Problem erkannt und bietet auf ihrer Webseite unter dem Link 

Informationen zur Präventionskampagne „Sei kein Dummy“. Dort stehen auch diverse Broschüren zum Thema als pdf-Download bereit. 

Für Physiotherapeuten und speziell für Sportphysiotherapeuten bietet sich hier ein neues und spannendes  Aufgabenfeld. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen (die beispielsweise bei Zahnärzten zur Routine gehören) im Sinne von Weak-Link-Assessments (Evaluation von Schwachstellen) könnten in dieser Richtung einen großen Schritt nach vorne bedeuten.

Hier geht’s zum kompletten Beitrag und Quellenverzeichnis von Steve Grosserode und Jared Vagy.