Sprungkraft Trainingsplanung II

Unter dem Titel „Höher mit System“ veröffentlichten die Autoren Hans-Josef Haas und Gerald Rainer-Mitterbauer einen spannenden Artikel in der Fachzeitschrift Sportphysio 3/16.

In dem Artikel geht es um den systematischen Aufbau von Reaktivkraft unter Berücksichtigung von „Low Load“ zu „High Load“. Dieser systematische Belastungsaufbau dient sowohl der Verletzungsprävention, als auch der Leistungssteigerung und bietet außerdem einen tollen Leitfaden für einen rehabilitativen Aufbau von verletzten Sportlern.

Unter Reaktivkraft versteht man die muskuläre Arbeitsform im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ), welche sowohl in Lauf-, Sprung- und Wurfbewegungen, als auch in spielsporttypischen Richtungswechseln besonders zum Tragen kommt. Der DVZ betrifft alle Bewegungen, die unmittelbar nach einer exzentrischen Muskelarbeit, eine konzentrische Muskelarbeit folgen lassen. In diesen Bewegungen spielen die Widerstandsfestigkeit des Gewebes (Stiffness), die reflexfördernde Eigenschaft der Muskelspindel und die Abnahme des hemmenden Mechanismus des Golgi-Sehnen-Organs eine Rolle.

Diese Mechanismen machen es möglich, dass aus einer Bewegung im DVZ eine bessere Leistung erwächst, als aus einer rein konzentrischen Bewegung.

Um von den genannten Vorzügen zu profitieren ist es unumgänglich ein Training der Reaktivkraft mit in die Trainingsplanung einzubeziehen. Man sollte jedoch beachten, dass gerade diese Trainingsformen, die zu einer verbesserten Reaktivkraft führen, eine extrem hohe Belastungsintensität aufweisen. Bei zu schneller Progression oder mangelnder Qualität sind Verletzungen nur eine Frage der Zeit.

Um also das Training der Reaktivkraft qualitativ und methodisch sinnvoll aufeinander aufzubauen wurde von den Autoren ein 4-Lernphasenmodell entwickelt, welches systematisch aufeinander aufgebaut ist und unterschiedliche Phasenziele beinhaltet.

Im Vordergrund steht folgender Gedanke:
„Erst eine methodisch optimal aufgebaute Steigerung der auf den Bewegungsapparat einwirkenden Belastungen erlaubt es, die Belastbarkeit der beteiligten Gewebe langsam zu adaptieren.“

Gemäß dem 4-Lernphasenmodell erfolgt der Übergang in die nächste Phase immer erst dann, wenn die Qualität der Bewegung und die Reizadaptation an das beteiligte Gewebe erfüllt sind. Um die Qualität der Bewegung sicherzustellen, müssen folgende Punkte bei der Bewegungsausführung beachtet werden:
-Achsenstabilität muss eingehalten werden
-die beteiligte Muskulatur muss intra- und intermuskulär optimal zusammenarbeiten
-Defizite im Bereich der Sensomotorik, Kraft und Mobilität müssen ausgemacht und behoben werden  

Hier kurz dargestellt die Ziele der aufeinander aufbauenden Lernphasen: 

Lernphase 1:
Bewegungskontrolle der Sprungform sicherstellen bei geringer Belastung
(Achsenstabilität: Wirbelsäule, Rumpf, Becken, Hüft-, Knie- & Sprunggelenk)

Lernphase 2:
Bei stabilen Achsen werden wenig belastende reaktive Sprungformen eingesetzt
(leichte Arbeit im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ))

Lernphase 3:
Bei stabilen Achsen werden stärkere belastende Sprungformen eingesetzt
(DVZ durch Tiefsprünge und Übersprünge verbessern bzw. maximal entwickeln bis zur vollen Leistungsfähigkeit) 

Lernphase 4:
Stabile Achsen und hohe Belastung auch unter Ermüdung bzw. in Wettkampf- oder Spielsituation
(Verbesserung der Leistungsfähigkeit in der sportartspezifischen Situation)

Wie bereits geschildert, wird die nächste Lernphase erst dann begonnen, wenn die Ziele der vorherigen zu Genüge erfüllt sind.
Grundsätzliche Bewegungsformen innerhalb der einzelnen Phasen unter Berücksichtigung der progressiven Belastungssteigerung werden hier einmal dargestellt:

Lernphase 1:
Vermehrt konzentrisch (Squat Jump), leichte DVZ lang (Counter Movement Jump) z.B.
-beidbeinige Einzelsprünge
-beidbeinige Seriensprünge
-einbeinige Einzelsprünge
-einbeinige Seriensprünge wechselseitig
-einbeinige Seriensprünge gleichzeitig 

Lernphase 2:
Vermehrt langer DVZ (Counter Movement Jump), später auch kurze DVZ (Drop Jump) z.B.
-beidbeinige Einzel-/Seriensprünge langer DVZ
-einbeinige Einzel-/Seriensprünge langer DVZ
-beidbeinige Einzel-/Seriensprünge kurzer DVZ
-einbeinige Einzel-/Seriensprünge kurzer DVZ 

Lernphase 3:
Progressive Belastungssteigerung langer und kurzer DVZ z.B.
-beidbeinig langer DVZ mit hohen Belastungen
-beidbeinig kurzer DVZ mit hohen Belastungen
-einbeinig langer DVZ mit hohen Belastungen
-einbeinig kurzer DVZ mit hohen Belastungen 

Lernphase 4:
Langer und kurzer DVZ multidirektional und unter Ermüdung z.B.
-beidbeinige Cutting-Bewegung
-einbeinige Cutting-Bewegung
-beinbeinige Rotationsbewegung
-einbeinige Rotationsbewegung
-beidbeinige Sprünge unter Ermüdung
-Sprünge mit Störgrößen wie Gegnerkontakt oder zusätzlicher Aufgabe

Gerade in der letzten Phase sollte man bedenken, dass (wenn möglich) Sportgerät oder sportbezogene Aufgaben hinzukommen, um sportartspezifisch und wettkampfbezogen zu agieren. 

Innerhalb der verschiedenen Phasen kann durch verschiedene Belastungsparameter die Intensität der Übungen variiert werden. Hierbei sind sowohl Intensität als auch Umfang zu beachten, um eine sinnvolle Progression zu gewährleisten.

Hier eine Liste möglicher Belastungsparameter:
-Wahl der Sprungform (Squat Jump -> Counter Movement Jump -> Drop Jump)
-Entlastung oder Zusatzgewicht (Achtung Zielsetzung Bodenkontaktzeit oder Kräftigung)
-schnelle oder langsame Bewegungsgeschwindigkeit
-Range of Motion
-„federnder“ oder „starrer“ Bremsimpuls
-Untergrundbeschaffenheit bei Landung und Absprung
-Lage des Untergrunds bei Landung und Absprung (z.B. Aufsprung -> Ebene -> Niedersprung)
-Sprungrichtung (linear -> multidirektional)
-Sprunghöhe
-Schwierigkeit der koordinativen Beanspruchung
-Ermüdungszustand
-Schuhwerk bzw. Equipment
-Belastungsumfang und –dichte 

Als letztes muss natürlich im Sinne einer sinnvollen Trainingsgestaltung die Reizkonfiguration in den verschiedenen Phasen beachtet werden. Dabei gelten folgende trainingswissenschaftlichen Aspekte:
-koordinativ oder technisch anspruchsvolle Bewegungen im ausgeruhten Zustand
-dasselbe gilt für hoch neuromuskulär belastende Bewegungen wie die Arbeit im DVZ
-anfangs wird bei niedriger Intensität langsam der Umfang erhöht
-später wird der Umfang geringer und die Intensität erhöht sich
-desto höher die Intensität, desto länger die Pausen 

Anhand der beschriebenen Ziele, Formen und Belastungsparametern kann der Medical Athletic Coach oder Sportphysiotherapeut ein sinnvolles Reaktivkrafttraining aufbauen und den Sportler von der Verletzung über Return to Sport bis zum Return to Competition führen.

Gegebenenfalls können mit einem gesunden Sportler die ersten Lernphasen schneller abgehandelt werden, wenn die Kriterien zum Übergang in die nächste Lernphase (Qualität und Gewebsadaptation) erfüllt sind. Man sollte jedoch beachten, dass diese Art von Trainingsplanung von einer sehr individuellen Betreuung abhängig ist. Dafür bringt es präventiv und leistungssteigernd langfristige Fortschritt.


Hier könnt ihr kostenlos den Thieme-Artikel nachlesen:  Sprungkraft.pdf