Dehnen im Warm-up?

Die Studie von Anthony J. Blazevich et al. (2018) mit dem Titel: “No effect of muscle stretching within a full, dynamic warm-up on athletic performance (Stretching during sports warm-up)” erschien im Journal Medicine & Science in Sports & Exercise.
Sie beschäftigt sich ausführlich mit dem Thema Dehnübungen im Warm-Up?  – ja oder nein –

Einleitung
Es wird häufig davon ausgegangen, dass eine physische Vorbereitungsroutine benötigt wird um im anschließenden Training oder Wettkampf die Leistung zu verbessern und das Verletzungsrisiko zu minimieren. Eine mögliche Komponente eines solchen Warm-up, die immer mehr Beachtung findet ist das statische (passive) und auch das dynamische Dehnen. 

Der verletzungspräventive Charakter von statischem Dehnen wurde durch mehrere Studien bereits ab acta gelegt und wird insgesamt seltener in der Praxis berücksichtigt. Andere Studien haben jedoch auch dem statischen Dehnen eine leichte präventive Wirkung auf Muskel-Sehnen-Verletzungen nachgesagt, gerade in lauf- und sprintorientierten Sportarten. Zum Einfluss von dynamischem Dehnen auf das Verletzungsrisiko liegen nur unzureichend detaillierte Studien vor.

Weiterhin wurde durch Studien aufgezeigt, dass das statische Dehnen einen negativen Effekt auf hochintensive Leistungen hat (Explosivkraft, Startkraft, DVZ usw.). Die allgemeine Empfehlung vom European College of Sports Sciences und des American College of Sports Medicine raten vom statischen Dehnen innerhalb des Aufwärmprogramms ab. Leider ist es so, dass die aktuelle Studienlage zum Thema Dehnen nicht sehr aussagekräftig ist, wenn man sich folgende Punkte der Studiendesigns näher anschaut:

1. Die meisten Studien führen im Aufwärmprogramm Dehnübungen durch, die deutlich länger sind, als dass, was in der Sportart erwartet wird.
2. Außerdem werden häufig weitere Komponenten mit ins Aufwärmprogramm aufgenommen. Dadurch verschwimmt jedoch die Aussagekraft der Ergebnisse deutlich.
3. Viele Athleten sind mit den Testübungen oder vorgegebenen Dehnprogrammen gar nicht vertraut.
4. Die Qualität der Ausführung der vorgegebenen Dehnübungen ist oft sehr unterschiedlich zwischen den Sportlern.
5. Das Auffinden von Kontrollgruppen, die komplett auf Dehnprogramme verzichten sind gering.
6. Dazu kommen noch die Erwartungshaltung der Athleten und der Einfluss von Versuchsleitern. Diese werden nicht immer ausreichend kontrolliert.

Die vorliegende Studie versucht einige der oben genannten Schwachstellen zu beseitigen, um Auskunft darüber zu erlangen, ob das Integrieren von Dehnprogrammen (sowohl dynamisch als auch statisch) in das Aufwärmprogramm eine Auswirkung auf die Leistung in hochintensiven Sportarten hat.

Methode
An der Studie nahmen 20 junge, gesunde, männliche Sportler teil (Alter = 21,1 ± 3,1 Jahre; Körpergewicht = 73,4 ± 6,8 kg; Größe = 1,79 ± 0,70 m). Keiner der Teilnehmer durfte in letzter Zeit eine Verletzung erlitten haben oder krank gewesen sein. Außerdem kamen alle Sportler aus einer lauf- bzw. sprintorientierten Sportart, in der sie auch Wettkämpfe beschreiten und mindestens dreimal wöchentlich trainieren.

Die vorliegende Studie ist ein randomisiertes, cross-over Design mit kontrollierten Bedingungen. Sie soll die Effekte von dynamischen Dehnübungen mit denen von statischen Dehnübungen (5 Sek. und 30 Sek. halten) auf die sportspezifische Leistungsfähigkeit vergleichen. Die Bedingungen in den Sessions wurden kontrolliert (selber Tageszeitpunkt, 4 Testsessions, Pause zwischen den Sessions mind. 72h, anschließend an jede Session gab es den Durchlauf einer Testbatterie). Die Dehnprogramme wurden von einem Research Koordinator überwacht um sicherzustellen, dass die Übungen korrekt ausgeführt werden.

Bevor die Daten aufgezeichnet wurden, durchliefen die Studienteilnehmer eine komplette Session um sich mit den Aufgaben (Übungen, Testprotokoll, Equipment, Einrichtung, Instruktionen) vertraut zu machen. Um unterschiedliche Instruktionen zu vermeiden, wurden allen Sportlern die gleichen Videosequenzen für die Dehnübungen gezeigt. Anschließend wurden individuelle Korrekturen vorgenommen. Auch die Testbatterien konnten mehrfach von den Athleten durchlaufen werden, damit sich diese damit vertraut machen konnten. Für die Personen, die sich nach dem Tag noch unsicher fühlten, wurde ein weiterer Tag angeboten um sich mit den Übungen vertraut zu machen.

Nach der Einführungssession gab jeder Athlet eine Einschätzung ab, welches Dehnprogramm den besten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit in den folgenden Tests haben könnte. Sie ordneten den vier Gruppen (dynamisch, 5 Sek statisch, 30 Sek statisch & kein Dehnprogramm) die Zahlen 1 bis 4 zu. Wobei die Methode, welche mit 1 gekennzeichnet wurde nach Einschätzung die beste Möglichkeit ist um die Leistung zu verbessern.

Die Athleten wurden dazu aufgefordert zu jeder Session die gleichen Schuhe und Sportkleidung zu tragen und die 24 Stunden vor dem Test keine intensiven Übungen zu machen. Außerdem sollten die letzten 24 Stunden kein Koffein oder andere stimulierende oder sedierende Substanzen eingenommen werden.

Alle Gruppen durchliefen vor dem jeweiligen Dehnprogramm ein kurzes Aufwärmprogramm (3 min joggen, 5 sec High Knees bei 90°, 5 sec Heel to Butt / alles bei 50% der subjektiven maximalen Belastung). Sofort im Anschluss wurde die Herzfrequenz aufgezeichnet.

Daraufhin durchliefen die Sportler ihr jeweiliges Dehnprogramm. Die Dehnübungen (dynamisch und statisch) wurden so ausgesucht, dass sie sowohl in der Körperregion als auch in der Position gut vergleichbar sind.

Sobald die Athleten das Dehnprogramm durchlaufen hatten, absolvierten sie ein weiteres etwas intensiveres Warm-up bei 60% der subjektiven maximalen Belastung, bevor sie daran anschließend drei Durchgänge der verschiedenen Tests der Testbatterie durchführten.

In den drei Durchgängen sollten sie Belastung von 60% auf 80% und dann auf 100% steigern.
Zwischen den Tests hatten die Athleten eine 30-sekündige Gehpause.

Als erster Test wurde der Sit-and-reach durchgeführt, der aufgrund seiner kurzen Durchführungszeit keinerlei anzunehmende Auswirkungen auf die folgenden Leistungstests haben soll. Anschließend folgten die Leistungstests (3 m running vertical jump test, Squat Jump, Countermovement Jump, Drop Jump (40 cm), T agility test, 20 m sprint test).

Zwischen dem Warm-up und den Leistungstests wurden die Teilnehmer gefragt, wie effektiv sie ihr Warm-up Programm einschätzen. Hierzu wurden Zahlen von 1 (Kein Effekt) bis 10 (extreme Leistungssteigerung) vergeben.

Ergebnisse
18 der 20 Probanden erwarteten von dem dynamischen Dehnprogramm den größten Benefit. Nur zwei Sportler schätzten das 30-sekündige statische Dehnen als das effektivste Programm ein. Zudem bewerteten 15 von 20 Athleten die nicht-dehnen Variante als die schlechteste Möglichkeit. Am häufigsten wurde folgende Reihenfolge festgelegt:

Dynamisch > 5 sec statisch > 30 sec statisch > keine Dehnübungen

Nach der Durchführung der Dehnprogramme bewerteten die Probanden das dynamische und die 5 sec statische Variante signifikant effektiver ein, als wenn kein Dehnprogramm ausgeführt wurde. Zwischen den Dehnprogrammen kam es zu keinen signifikanten Unterschieden.

Weder der Vortest, noch die einzelnen Testsessions untereinander unterschieden sich in den erhobenen Leistungsparametern 3m running vertical jump, Squat Jump, Countermovement Jump und Drop Jump. Auch bezüglich des 20 Meter Sprints und dem Agility Test wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden.

Auch beim Sit-and-reach kam es zu keinen aussagekräftigen Ergebnissen.

Diskussion
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie konnten aufzeigen, dass keines der Dehnprogrammen dem Nicht-Dehnprogramm in den Leistungstests und dem Flexibilitätstest überlegen war.

90% der Teilnehmer gaben an, dass sie eine höhere Leistung nach einem dynamischen Dehnen erwarten. Dies konnte statistisch nicht bestätigt werden. Dennoch könnte es allein durch die Erwartungshaltung und die damit entstehende Sicherheit und Bereitschaft trotzdem zu positiven Effekten in dem Sport kommen. Dies sollte an Hand von Studien weiter untersucht werden.

Die Ergebnisse dieser Studie scheinen dem momentanen Konsens über dieses Thema zu widersprechen, aber es bestehen auch weitere Studien, die diese Ergebnisse unterstreichen (Taylor et al. 2009 sowie Little & Williams 2006 und Samson et al. 2012).

Folgt man den Ergebnissen dieser Studie, so kann aus Sicht der Leistungsbereitstellung gesagt werden, dass ein zusätzliches Dehnprogramm im Warm-up nicht nötig ist. Dennoch bleibt zu beachten, was der Sportler sonst aus dieser Zeit für sich mitnehmen kann. Denn kognitive oder mentale Vorbereitung kann auch ein positiver Effekt des Dehnprogramms sein. Des Weiteren sollte nochmals vermehrt überprüft werden, ob dynamisches Dehnen tatsächlich das Verletzungsrisiko minimieren kann. Hierzu fehlen verlässliche Studien.

Ihr wollt es noch genauer wissen.

Hier geht’s zum Volltext der englischen Studie