Erwartungshaltung: Placebo / Nocebo

Im März 2017 veröffentlichten Corsi & Colloca im Journal „Frontiers in Psychology“ ihre Studie mit dem Titel „Placebo and Nocebo Effects: The Advantage of Measuring Expectations and Psychological Factors“ (Placebo und Nocebo Effekte: Der Vorteil von Messungen der Erwartungshaltung und von psychologischen Faktoren).

Es konnte schon in vorherigen Studien aufgezeigt werden, dass psychologische Faktoren wie Optimismus, Beeinflussbarkeit und Empathie zu Placebo-Effekten führen. Während dessen psychologische Faktoren wie Pessimismus, Angst und Katastrophisierung mit Nocebo-Effekten assoziiert werden.

In dieser Studie wurden folgende Fragen verfolgt:
Wie beeinflussen psychologische Faktoren und die Erwartung von Schmerz das empfundene Schmerzerleben? Entsteht placeboinduzierte Hypoalgesie und noceboinduzierte Hyperalgesie als Folge von Erwartungen und Persönlichkeitsmerkmalen? 

Methode:
Es absolvierten 46 gesunde Personen (24w & 22m) eine sehr zuverlässige Konditionierungsaufgabe. Die Versuchspersonen mussten folgende Bestimmungen erfüllen:
–       Keine kardiovaskulären oder neurologischen Erkrankungen
–       Keine psychiatrischen Krankheiten (weder selbst, noch in der Familienhistorie)
–       Keinen aktuellen oder früheren Drogenkonsum
–       Keinen akuten oder chronischen Schmerz
–       Keine Farbblindheit
–       Keine aktuelle Schwangerschaft
–       Keine Einnahme von Schmerz- oder anderen Medikamenten
–       Kein Tabak- oder Nikotinkonsum

Die Teilnehmer bekamen über Hautkontakt eine Wärmestimulation und gleichzeitig ein visuelles Feedback über die Wärmeintensität (und somit die zu erwartende Schmerzwahrscheinlichkeit).

Es wurden drei verschiedene Schmerzlevel zugefügt:
1. sehr schmerzhaft (47,5° / rot)
2. mittel schmerzhaft (44,5° / gelb)
3. wenig schmerzhaft (41,5° / grün)

Zu Beginn gab es eine Aneignungsphase. Hierbei wurden 18 Stimulationen (sechsmal wenig schmerzhaft / sechsmal mittel schmerzhaft / sechsmal sehr schmerzhaft) gesetzt und mit den dazugehörigen visuellen Feedbacks versehen.
In der Testphase kam es zuerst zum visuellen Reiz (vier Sekunden). Anschließend sollten die Teilnehmer ihren erwarteten Schmerz auf den kommenden Stimulus auf einer VAS Skala (0= kein Schmerz / 100= maximaler tolerierbarer Schmerz) festlegen (fünf Sekunden). Dann wurde der Wärmestimulus ausgeführt (acht bis zehn Sekunden). Der Schmerzreiz wurde immer auf die Intensitätsstufe „mittel“ gestellt, egal welche der drei Farben zuvor angezeigt wurde. Es gab insgesamt neun Durchgänge. Die Teilnehmer trugen ihr empfundenes Schmerzlevel direkt nach dem Schmerzerleben wieder auf einer VAS Skala ein. Somit sollten die Placebo- und Noceboeffekte gemessen werden.

Mit psychologischen Fragebögen wurden folgende placebo- und nocebobezogene Faktoren ermittelt.
Placebobezogene Faktoren:
–       Optimismus
–       Belohnung
–       Beeinflussbarkeit
–       Empathie
–       Sensation-Seeking
–       Motivation

Nocebobezogene Faktoren:
–       Angst und Ängstlichkeit
–       Katastrophisierung
–       Neurozismus
–       Angst vor Schmerz
–       Depressive Symptome
–       Sorgen 

Ergebnisse:
Die Analyse der VAS Aufzeichnungen während der Aneignungsphase konnte aufzeigen, dass die Teilnehmer deutlich zwischen den drei Schmerz Leveln unterscheiden konnten.

Folgende VAS Scores konnten im Durchschnitt erhoben werden.
–       47,5° (rot/sehr schmerzhaft)            -> 74.73
–       44,5° (gelb/mittel schmerzhaft)       -> 29.55
–       41,5° (grün/wenig schmerzhaft)       -> 9.37 

Auch die erwarteten VAS Scores unterschieden sich signifikant.
–       47,5° (rot/sehr schmerzhaft)            -> 75.63
–       44,5° (gelb/mittel schmerzhaft)       -> 34.74
–       41,5° (grün/wenig schmerzhaft)       -> 11,30

In der Testphase kam es trotz gleichbleibender Temperatur zu einem signifikanten Effekt.

Denn auch hier unterschieden sich die VAS Scores bei der Schmerzbeurteilung.
–       44,5° (rot/mittel schmerzhaft)         -> 46.98
–       44,5° (gelb/mittel schmerzhaft)       -> 29.96
–       44,5° (grün/mittel schmerzhaft)       -> 17.86

Die Schmerzempfindlichkeit korrelierte sehr stark mit dem erwarteten Schmerz. Es ergaben sich somit hyperalgesierende Noceboeffekte und hypoalgesierende Placeboeffekte.

Hinsichtlich der psychologischen Faktoren konnte aufgezeigt werden, dass Ängstlichkeit und die Angst vor Schmerz negativ mit dem Placebo korrelierten und somit diesen Effekt schwächten. Der Noceboeffekt korrelierte positiv mit Ängstlichkeit und dem Trend zur Katastrophisierung. Scheinbar kommt es durch Ängstlichkeit zu einer Fehlbewertung des Stimulus, sodass dies zu einem erhöhten Schmerzerleben führt.

Ein hoher Score bei Motivation und das Wissen um Beeinflussbarkeit sind die ausschlaggebenden Faktoren, die zu höheren Placeboeffekten führten.

Der Noceboeffekt scheint vor allem durch einen hohen Score bei Angst und Depressivität beeinflusst.

Die Erwartung von hohem Schmerz ging mit einem hohen Noceboeffekt einher. Die Erwartung von wenig Schmerz ging mit einem Placeboeffekt einher. Allerdings konnte in dieser Studie nicht gezeigt werden, dass die Erwartungshaltung durch Persönlichkeitsmerkmale bestimmt wird.

Für die Praxis bedeutet das:
Um den verletzten Athleten in der Rehabilitation zu unterstützen sollten diese Effekte berücksichtigt werden. Dies betrifft sowohl Physiotherapeuten, Ärzte und Medical Athletic Coaches als auch Trainer, Kollegen und die Familie. 
Es muss hinterfragt werden, welche Wahrheiten dem Athleten helfen und was innerhalb der Therapie ausgesprochen werden muss – und was besser nicht. Auch auf die Wortwahl sollte geachtet werden. Was sind eure Erfahrungen mit gelingender und destruktiver Kommunikation?

Hier der Link zur Studie