Verletzungsprävention erfolgreich umsetzen!

– Ein steiniger Weg von Studienergebnissen hin zu einer erkennbaren Verletzungsreduktion –
geschrieben von James O’Brien, Austria, Martin Hägglund, Sweden and Mario Bizzini, Switzerland

In den letzten 30 Jahren konnte durch zahlreiche Beobachtungen der Fortschritt in der Verletzungsprävention im Fussball aufgezeigt werden. Es gibt viele kontrollierte und randomisierte Studien, die präventive Programme untersucht haben und zeigen konnten, dass die Nutzung dieser Präventionsprogramme einen wesentlichen Rückgang von Verletzungszahlen im Fussball nach sich ziehen.

Dennoch steigen die Verletzungszahlen für Hamstring- und ACL-Verletzungen weiterhin an. Dies erscheint paradox, ist aber dadurch begründet, dass diese erprobten Präventionsprogramme – trotz der vorliegenden Evidenz – immer noch kaum in die Praxis integriert werden. Somit bietet die Implementierung dieser Programme weiterhin ein großes Potenzial für die Zukunft.

Schon seit längerer Zeit gibt es wissenschaftlich fundierte Präventionsprogramme wie z.B. das Nordic Hamstring Exercise, das FIFA 11+ Programm oder das Knee Control Prevention Programme. Diese Präventivprogramme zeichnen sich durch sehr gute Ergebnisse hinsichtlich der Verletzungsprophylaxe aus.
Das Nordic Hamstring Programm konnte das Auftreten von Verletzungen um 59% reduzieren. Bei Rezidivverletzungen sogar um 86% gegenüber der Kontrollgruppe.
Das Knee Control Prevention Programme beinhaltet Kraftübungen, Stabilitätsübungen für den Rumpf sowie Lande- und Sprungübungen. Bei der Durchführung des entsprechenden Programms konnten ACL-Verletzungen um 64% verringert werden.
Das FIFA 11+ Programm beinhaltet ein 20-minütiges Warm-Up Programm aus Sprint, Kraft, Stabilitäts- und plyometrischen Übungen. Bei weiblichen Fussballerinnen kam es zu 32% weniger Verletzungen, bei den männlichen Fussballern waren es sogar 41% weniger.

Ein sehr wichtiger Einflussfaktor auf die Wirksamkeit der Präventionsprogramme ist die Compliance der Athleten. Eine Studie konnte aufzeigen, dass Sportler mit einer hohen Compliance im Knee Control Prevention Programme eine Reduktion von 88% bei ACL-Verletzungen aufweisen konnten. Die Gruppe mit einer niedrigen Compliance unterschied sich jedoch nicht mit der Kontrollgruppe. Beim FIFA 11+ Programm wurden ähnliche Ergebnisse gefunden. Die Sportler mit höherer Compliance zeigten einen deutlich stärkeren Rückgang (-72%) von Verletzungen, als die Athleten mit niedriger Compliance.
Die fehlende Bereitschaft ein Präventionsprogramm ordnungsgemäß durchzuführen stellt also ein großes Hindernis dar. Ein Beispiel beim Nordic Hamstring Exercise zeigt dies deutlich. Obwohl 88% der europäischen Teams über dieses Programm Bescheid wissen, wird es nur von ca. 11% komplett durchgeführt (immerhin weitere 6% führen Teile daraus durch).
Und das, obwohl Hamstring-Verletzungen zu den häufigsten Verletzungen gehören und die wissenschaftliche Beweislage für die Effizienz der Nordic Hamstring Exercise sehr gut ist.

Die besondere Herausforderung scheint die Umsetzung und Verbreitung der Programme in den Sport zu sein. Die Struktur des RE-AIM (Reach Effectivness Adoption Implementation Maintenance) beschreibt den Weg hin zur Umsetzung in die Praxis.

1. Reach: Die Menschen müssen darüber Bescheid wissen.
2. Effectiveness: Das Programm muss auch funktionieren.
3. Adoption: Die Menschen müssen die Entscheidung treffen es zu benutzen.
4. Implementation: Die Menschen müssen es richtig anwenden.
5. Maintenance: Es muss dauerhaft durchgeführt werden.

97% der Sportler sind sich einig, dass die Compliance ein wesentlicher Faktor für eine erfolgreiche Verletzungsprävention ist. Dennoch ist die Compliance der Spieler sehr unterschiedlich. Nur 4 von 33 Teams (Europa Top Niveau) zeigten eine sehr hohe Compliance. 17 von 33 Teams sehr geringe oder gar keine Compliance. Dies zeigt sich auch bei der Implementierung des FIFA 11+ Programms. Das Programm wurde in über 80 Ländern in verschiedenen Sprachen und mit zahlreichen Hilfsmaterialien (Manuale, DVD, Poster usw.) publik gemacht und dennoch sind es nur 20 (10%) Nationen der FIFA, die das Programm anwenden.

Kommen wir zu den Fragen, warum es so ist, wie es ist. Denn scheinbar muss es Gründe dafür geben, dass bewusst auf diese Programme verzichtet wird. Die angegebenen Gründe reichen von „zu zeitaufwendig“, „nicht fussballspezifisch“, „keine Zeit“, „zu wenig Betreuer“ und „zu wenig Erfahrung in der Anleitung“, hinzu „zu schwierige Umsetzung“ und „keine Vorteile ersichtlich“.

Eine weitere Untersuchung von Teams einer Akademie fand die Gründe auf verschiedenen Ebenen. 
1. Spieler (z.B. Motivation, Abwesenheit)
2. Team Betreuer (z.B. Planung und Organisation)
3. Verein (z.B. Akzeptanz und Vereinskultur)
4. Übergeordnete Institutionen (Spielplan)
5. äußere Umstände (z.B. Wetter, Material, Verfügbarkeit des Trainingsgeländes)

Wie kann dieser Zustand mit Hilfe des RE-AIM positiv beeinflusst werden?

Die richtigen Zielpersonen erreichen:
Die Vorteile eines Präventionsprogramms müssen an unterschiedliche Zielgruppen herangetragen werden. Dazu gehören Trainer und Spieler, aber auch die Vereinsführung oder sogar übergeordnete Institutionen wie Sportverbände. Die Vorstellung von Präventionsprogrammen könnte beispielsweise auch in die Trainerausbildung integriert werden. Außerdem bieten sich in unserer medialen Welt zahlreiche Möglichkeiten über Social Media, Apps und Co, um einer breiten Masse kostengünstig die relevanten Informationen bereitzustellen. Ein positives Beispiel konnte in der Schweiz gezeigt werden. Hier wurde der Vorgänger des FIFA 11+ Programms (das FIFA 11) in die Trainerausbildung implementiert. Vier Jahre später wussten 80% der Trainer über das FIFA 11 Programm Bescheid und ganze 57% wendeten es auch an.

Die Einstellung gegenüber den Programmen verbessern:
Nur über die Programme Bescheid zu wissen heißt noch nicht, dass diese auch angewendet werden. Gerade die Planung und Organisation stellt für viele ein Hindernis dar. Daher kann es sinnvoll sein, die Schlüsselargumente einzelner Gruppen (Spieler, Trainer, Manager usw.) detailliert aufzuschreiben (Wer soll erreicht werden? Warum ist er ein wichtiger Ansprechpartner? Welche Fakten können ihn überzeugen?).

Die Effektivität steigern:
Häufig werden Programme vom Anwender modifiziert. Übungen werden ausgetauscht oder weggelassen usw. Es ist wichtig die Programme auf verschiedene Zielgruppen so anzupassen, dass sie dennoch ihren Zweck erfüllen. Deshalb ist es sinnvoll den Umfang des Trainings und die Übungen so zu gestalten, dass z.B. modular gearbeitet werden kann. Dies vermindert das Risiko, dass einzelne wichtige Aspekte des Programms ins Hintertreffen geraten. Wenn Präventionsprogramme korrekt angewendet werden, haben diese meist auch einen leistungsfördernden Charakter.

Die Compliance erhöhen:
Durch entsprechendes Material und Anleitungen, sowie entsprechende Trainings oder Ausbildungen kann die Compliance gesteigert werden. Leider gibt es hierzu nur eine geringe Evidenzlage. Lediglich im Amateur-Frauenfussball konnte ein Ausbildungsworkshop zum FIFA 11+ Programm die Compliance im Team erhöhen. 

Dabeibleiben:
Verletzungspräventionsprogramme sollten dauerhaft durchgeführt werden. Um dies zu gewährleisten, ist es wichtig diesen Punkt mit in die Politik des Vereins zu integrieren. Der Verein, die Liga oder der Verband müssen die Relevanz dieser Thematik erkennen und attraktive Anreize schaffen, damit diese Programme dauerhaft durchgeführt werden.

Um einen Präventionsplan erfolgreich in die Tat umzusetzen, kann es hilfreich sein, einen strukturierten Plan als Hilfestellung heranzuziehen. Padua et al. (2014) entwickelten hierzu ein sieben Schritte Programm zur Implementierung von Präventivprogrammen in den Sport. 

7-Schritte-zur-Implementierung-von-Praventivprogrammen.pdf