Im Spitzensport spielt die mentale Stärke eine entscheidende Rolle. Die erfahrene Sportpsychologin Franka Weber begleitet Athletinnen und Athleten auf ihrem Weg zu Höchstleistungen. Im Interview spricht sie über ihren beruflichen Werdegang, die Bedeutung der Sportpsychologie im Spitzensport und ihre Erfahrungen bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris.
“Es ist die mentale Verfassung, die den Unterschied macht”
spt-education: Liebe Franka, schön, dass du da bist. Kannst du uns vielleicht ein bisschen was zu dir als Person und deiner Karriere als Sportpsychologin erzählen? Was hat dich letztendlich dazu bewogen, diesen Weg einzuschlagen?
Franka: Ja, gerne. Zu mir: Ich heiße Franka, bin mittlerweile 53 Jahre alt, also gehöre tatsächlich schon zu den „älteren Hasen“, muss man sagen. Von Haus aus bin ich klinische Neuropsychologin und beschäftige mich eigentlich mit schwer eingeschränkten Patienten nach Hirnverletzungen oder neurologischen Erkrankungen. Zur Sportpsychologie bin ich eher zufällig gekommen. Ich komme aus einer sehr sportaffinen Familie, mein Vater war Handballtrainer und wir haben alle Handball gespielt. Irgendwann habe ich an einer Physiotherapieschule unterrichtet, was ich immer noch mache. Dort bin ich durch einen Zufall in den Bereich der Sportpsychologie gekommen, als sie einen Dozenten suchten. Das Thema hat mich schon immer interessiert, also habe ich die Weiterbildung zur Sportpsychologin gemacht und bin so in diesen Bereich reingerutscht.
“Die psychologische Vorbereitung ist extrem wichtig”
spt-education: Was hast du denn in den letzten Jahren für Erfahrungen sammeln dürfen? Welche Rolle spielt die Sportpsychologie gerade im Hochleistungssport? Wir haben ja mitbekommen, dass du mit den Schwimmern bei Olympia dabei warst. Welche Rolle spielt die Sportpsychologie vor allem im Schwimmsport, und wie hat sich diese Rolle in den letzten Jahren vielleicht verändert?
Franka: Es ist eine positive Entwicklung, aber es ist nach wie vor Luft nach oben. Im Spitzensportbereich sind die AthletInnen körperlich optimal vorbereitet. Was aber den Unterschied macht, ist die mentale Verfassung. Es gibt AthletInnen, die körperlich in perfekter Verfassung sind, aber mentale Probleme haben und ihre Leistungen nicht abrufen können. Im mentalen Bereich ist es wichtig, dass alles zusammenpasst, damit die AthletInnen ihre Leistung abrufen können. Mittlerweile haben einige Verbände Sportpsychologen bei den Olympischen Spielen dabei, aber es sind immer noch zu wenige. Die mentale Vorbereitung findet oft vorher statt, aber manchmal braucht es auch während der Spiele jemanden, der die Athleten auffängt.
“Die Olympischen Spiele haben auch ihre Schattenseiten”
spt-education: Du kommst gerade frisch von den Olympischen Spielen in Paris. Was hast du dort für besondere Herausforderungen erlebt, und wie war insgesamt der olympische Flair?
Franka: Es wirkt im Fernsehen immer romantischer, als es ist. Realistisch gesehen hat das eher etwas von Trainingscamp und Jugendherberge. Die Umstände waren nicht immer perfekt, vor allem in den ersten Tagen gab es massive Transportprobleme. Aber der Flair, durch das Olympische Dorf zu laufen und plötzlich neben einem großen Sportidol zu stehen, ist natürlich etwas ganz Besonderes.
“Mentale Routinen sind der Schlüssel zum Erfolg”
spt-education: Du hast gerade angesprochen, dass es zu Beginn Herausforderungen gab, trotzdem haben wir im Schwimmsport die erste Goldmedaille für unser deutsches Team geholt. Wie hast du Lukas Märtens unterstützt, damit er diese Spitzenleistung bringen konnte?
Franka: Das ist eine Arbeit, die über Jahre geht. Mit Lukas, aber auch mit vielen anderen Athleten mache ich vor dem Wettkampf zum Beispiel immer eine Visualisierung. Er stellt sich vor, wie es ist, sein Ziel zu erreichen. Wir erinnern uns an vergangene Erfolge und arbeiten mit positiven Affirmationen. Es geht darum, mentale Routinen und Rituale zu entwickeln, die Sicherheit geben. Bei den Olympischen Spielen geht es auch darum, nicht von der Atmosphäre überwältigt zu werden.
“Mentale Techniken sind universell einsetzbar”
spt-education: Unterscheidet sich deine Arbeit mit Amateursportlern oder Nachwuchsathleten von der mit Spitzensportlern, oder lassen sich die Techniken auf alle anwenden?
Franka: Die Techniken sind auf viele Bereiche anwendbar, auch außerhalb des Sports. Egal ob im Hochleistungssport oder im Alltag, es geht immer darum, Drucksituationen zu meistern. Auch Nachwuchsathleten, Tischfußballspieler oder sogar Chirugen können von diesen Techniken profitieren.
“Enge Zusammenarbeit für den bestmöglichen Erfolg”
spt-education: Wie empfindest du die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen innerhalb eures Staffs? Wie arbeitet ihr zusammen, um die Athleten bestmöglich zu betreuen?
Franka: Wir nennen uns beim Schwimmverband „Medical Team“, bestehend aus Ärzten, Sportphysiotherapeuten und Psychologen. Wir arbeiten sehr eng zusammen, was ein großer Vorteil ist. Oft bahnt die Physiotherapie den Weg zur Sportpsychologie. Es ist eine enge Zusammenarbeit, bei der wir uns absprechen, um den Athleten bestmöglich zu unterstützen.
spt-education: Franka, du hast bereits erwähnt, wie wichtig die Zusammenarbeit im Medical Team ist. Wie empfindest du konkret die Zusammenarbeit mit der physiotherapeutischen Abteilung, um die Athleten und Athletinnen optimal vorzubereiten?
„Die mentale Gesundheit ist äußerst wichtig, besonders nach Verletzungen“
Franka: Es ist ein großer Vorteil, dass wir räumlich nah beieinander arbeiten und bei Maßnahmen oft sogar zusammenwohnen. Das ermöglicht eine enge Zusammenarbeit. Beispielsweise kann es vorkommen, dass ich nach einer physiotherapeutischen Behandlung von Lukas noch eine entspannende Sitzung mache, um ihn optimal auf den Schlaf vorzubereiten. Unsere enge Abstimmung sorgt dafür, dass wir die Athleten bestmöglich unterstützen.
spt-education: Verletzungen sind ein häufiger Bestandteil im Leistungssport. Wie wichtig ist deiner Meinung nach die mentale Gesundheit für Athleten, insbesondere nach Verletzungen, und wie unterstützt du sie dabei?
Franka: Die mentale Gesundheit ist äußerst wichtig, besonders nach Verletzungen. Für uns ist die Verletzungsphase oft eine Gelegenheit, intensiver mit der Sportpsychologie zu arbeiten, da die Athleten nun Zeit haben, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Ich nutze diese Zeit, um z.B. durch hypnotherapeutische Verfahren den Heilungsprozess zu unterstützen und die mentale Stärke der Athleten zu fördern. Ein Beispiel ist, dass wir die Athleten ihre Verletzungen zeichnen lassen und dann diese Bilder umgestalten, um den Heilungsprozess mental zu unterstützen.
spt-education: Wie sollten Sportphysios deiner Meinung nach mit psychologischen Aspekten umgehen, ohne ihre Grenzen zu überschreiten?
Franka: Es ist wichtig, eine wertschätzende Grundhaltung zu haben und den Athleten mit all seinen Emotionen anzunehmen. Eine einfache, aber essentielle Regel ist, dass man nicht sagen sollte „Ich weiß, wie du dich fühlst“. Stattdessen sollte man Verständnis zeigen und sich bewusst sein, dass jeder individuell fühlt. Wenn es über die eigene Kompetenz hinausgeht, ist es wichtig, sich frühzeitig mit Netzwerken und anderen Fachleuten abzustimmen. Deshalb freut es mich auch sehr, dass Ihr bei Euch im Sportphysiokurs und anschließend als Aufbaumodul schon psychologische Grundlagen mit Bezug zur alltäglichen Praxisarbeit im Gesundheits- und Sportkontext vermittelt. Denn dabei können die angehenden Sportphysios schon erste Ideen zur Gestaltung einer lösungsorientierten Kommunikation an praktischen Beispielen erlernen und in Ihre tägliche Arbeit integrieren.
„Die kleinen Erfolge sind es, die mich motivieren“
spt-education: Gibt es ein besonderes Ereignis oder eine Erfahrung in deiner Karriere, die dich besonders motiviert und dir zeigt, dass deine Arbeit Wirkung zeigt?
Franka: Die kleinen Erfolge sind es, die mich motivieren. Ein Moment, den ich besonders in Erinnerung habe war, als ein Athlet nach einem langen Gespräch mit mir in seinem nächsten Wettkampf eine Goldmedaille gewann. Solche Momente zeigen mir, dass die Unterstützung durch Sportpsychologie einen Unterschied machen kann, auch wenn wir die Erfolge nicht direkt „herbeiführen“.
„Ich hoffe, dass wir ein System schaffen können, in dem Athleten als Menschen respektiert werden und nicht nur als leistungsfähige Einheiten betrachtet werden“
spt-education: Wie sieht deine Vision für die Zukunft im Leistungssport aus, und welche Ziele hast du für deine Arbeit?
Franka: Ich habe Bedenken bezüglich des aktuellen Leistungssportsystems und der ethischen Grenzen, die es mit sich bringt. Mein Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass Athleten sich wohlfühlen und ihre besten Leistungen bringen können, ohne sich wie Maschinen behandelt zu fühlen. Ich hoffe, dass wir ein System schaffen können, in dem Athleten als Menschen respektiert werden und nicht nur als leistungsfähige Einheiten betrachtet werden.
spt-education: Das ist ein sehr schönes Schlusswort, Franka. Vielen Dank für das Gespräch und die Einblicke in deine Arbeit und Visionen.
Franka: Sehr gerne, ich danke dir.
Zur Person: Franka Weber, geboren im Hochsommer 1971 in Kiel, ist eine erfahrene Diplom-Psychologin mit über 20 Jahren klinischer Erfahrung in der Neuropsychologie. Ihre Leidenschaft für den Sport wurde bereits in ihrer Kindheit an der Küste geprägt, als Tochter eines Handballtrainers. Diese frühe Verbindung zum Sport führte dazu, dass sie nicht nur selbst aktiv Handball spielte, sondern später auch mehrere Jahre als ehrenamtliche Handballtrainerin Kinder begleitete. Neben dem Handball begeistert sie sich für den Wassersport, Reiten, Tischtennis und Tanzsport. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio und 2024 in Paris war sie Teil des Medical Teams von Team Deutschland. Franka engagiert sich zudem ehrenamtlich und ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Sport-Neuropsychologie (GSNP).